Ruth Werner – Wikipedia

Ruth Werner (* 15. Mai 1907 in Friedenau;[1] † 7. Juli 2000 in Berlin), eigentlich Ursula Beurton, zuvor Ursula Hamburger, geboren als Ursula Maria Kuczynski, war eine deutsche Kommunistin, Schriftstellerin und Agentin des sowjetischen Militärnachrichtendienstes GRU. Dort wurde sie unter dem Decknamen „Sonja“ geführt und bekleidete zuletzt den Rang eines Obersten.[2] Als Autorin arbeitete sie ab 1958 unter dem Pseudonym Ruth Werner.

Ursula Kuczynski wurde als eines von sechs Kindern von Robert René Kuczynski und Berta geb. Gradenwitz in der elterlichen Wohnung am Friedrich-Wilhelm-Platz 12 in Friedenau bei Berlin geboren[1]. Die Familie war jüdischer Abstammung. Ihr Vater arbeitete als Ökonom und Statistiker. Ihr älterer Bruder war der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski.

Sie wuchs in einer Villa am Schlachtensee in Berlin auf. In Zehlendorf besuchte sie ein Lyzeum. Von 1924 bis 1926 machte sie eine Ausbildung zur Buchhändlerin. Bereits zu Beginn ihrer Berufsausbildung wurde sie Mitglied im Kommunistischen Jugendverband Deutschland.

1926 trat sie der Kommunistischen Partei Deutschlands bei.
1926/27 besuchte sie eine Bibliothekarinnenschule und war Mitarbeiterin einer Leihbibliothek; anschließend war sie beim Ullstein Verlag angestellt, von dem sie wegen der Teilnahme an einer 1.-Mai-Demonstration im Mai 1928 entlassen wurde. Sie gründete die Marxistische Arbeiterbibliothek (MAB Berlin) und übernahm deren Leitung. Sie begann für die Parteizeitungen der KPD Die Rote Fahne und Welt am Abend zu schreiben. Von Dezember 1928 bis August 1929 arbeitete sie in einer Buchhandlung in New York.

Arbeit für die Sowjetunion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1929 heiratete sie den deutschen Architekten Rudolf Hamburger und ging mit ihm 1930 nach Shanghai, da dort zu dieser Zeit stark gebaut wurde. 1931 wurde der gemeinsame Sohn Michael geboren. In Shanghai lernte sie nach viereinhalb Monaten, vermittelt durch die linke amerikanische Journalistin Agnes Smedley, Richard Sorge kennen, der sie für die GRU anwarb und in China Informationen für die Sowjetunion sammeln ließ. Sie hielt Kontakt zu untergetauchten chinesischen Kommunisten, lagerte Waffen, versteckte einen Gesuchten. Als ihr Mann davon erfuhr, zerbrach die Ehe. Nach zweijähriger Tätigkeit ging sie 1933 auf Empfehlung von Richard Sorge nach Moskau, um das Agentenhandwerk gründlich zu erlernen. Dort wurde sie u. a. als Funkerin ausgebildet und erlernte das Morsealphabet. Ihr Sohn Michael lebte währenddessen bei ihren Schwiegereltern in der Tschechoslowakei.

Ursula Hamburger diente dem militärischen Nachrichtendienst GRU in Asien und Europa. Sie war 1934 in Mukden in der Mandschurei, die Japan seit dem Mukden-Zwischenfall von 1931 besetzt hatte. Ihr dortiger Führungsagent nannte sich Ernst. Mit ihm hatte sie zeitweilig eine Romanze. Als die GRU 1935 die Enttarnung der beiden Agenten befürchtete, beorderte sie Ruth Werner, die von Ernst ihre Tochter Janina im April 1936 erwartete, mit ihrem Ehemann nach Polen. 1937 erhielt sie für die Tätigkeit in China den Rotbannerorden in Moskau.

Bevor das Deutsche Reich nach Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes und mit Bruch des deutsch-polnischen Nichtangriffspakts Polen angriff, war 1938 Werner mit ihrem Ehemann und dem geheimen Sender unter dem Namen Ursula Schulz bereits in die Schweiz geflüchtet.

In der Schweiz rekrutierte sie Widerstandsgruppen für den Einsatz in Deutschland. Von dort funkte sie auch im Rahmen der Roten Kapelle für Sándor Radó. In der Schweiz lernte sie im Februar 1939 die englischen Kommunisten und Spanienkämpfer Len Beurton und Alexander Foote kennen. Foote, der ihr ob seines ruhmreichen Einsatzes im Spanischen Bürgerkrieg von der Moskauer Zentrale empfohlen worden war, setzte sie auf die Messerschmittwerke an. Sein Landsmann Len Beurton sollte Kontakt zu den I.G. Farben herstellen.[3] Für Beurton war es nach seinen Schilderungen Liebe auf den ersten Blick. Sie schilderte es als Pflicht zur Tarnung.

Als Deutschland 1939 mit dem Überfall auf Polen auch die Freie Stadt Danzig besetzte, baute Ruth Werner Widerstandsgruppen in der Stadt auf.

In der Schweiz heiratete sie Anfang 1940 ihren zweiten Ehemann Len Beurton und erlangte die britische Staatsbürgerschaft. 1940 wurde Werner von der GRU ins Vereinigte Königreich entsandt, um dort ein Netz aufzubauen, und lebte bis 1949 dort. 1943 gebar sie ihren Sohn Peter. Sie ließ sich in der Umgebung von Oxford nieder, um ab 1943 für die „Atomspione“ Klaus Fuchs und Melita Norwood als Kurier zu arbeiten. Dadurch beschleunigte sie die Entwicklung der sowjetischen Atombombe, die 1949 in einem Test erstmals gezündet wurde. Neben Fuchs und Norwood führte sie einen Offizier der Royal Air Force, einen Spezialisten in U-Boot-Radar, und gewann Informationen von ihrem Bruder, ihrem Vater und anderen deutschen Emigranten.

Werner gelang es im Herbst 1944, den Geheimdienst der USA anzuzapfen.

Ab 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1949 musste Werner wegen der Enttarnung von Klaus Fuchs aus Großbritannien fliehen und ging in die DDR nach Ost-Berlin. 1950 schied Werner auf eigenen Wunsch aus der GRU aus.

„Sie war die vielleicht erfolgreichste Kundschafterin der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg“[4] und eine der wenigen, die Stalins Misstrauen, seine Säuberungen und Verhaftungswellen unversehrt überlebten. Sie wurde aber 10 Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der GRU aus dem Amt für Information in der DDR entlassen, weil sie eine Panzerschranktür zu schließen vergaß. Nach sechs Jahren im Staatsdienst beschäftigte sie sich als Autorin zunächst überwiegend mit der Publikation von Kinderbüchern. In dieser Zeit nahm sie ihr Pseudonym Ruth Werner an.

1969 ehrte die GRU sie mit einem zweiten Rotbannerorden, dem höchsten Militärorden der Sowjetunion. Bis 1977 erfüllte sie ihre Verschwiegenheitspflicht äußerst diszipliniert.

Mit der Veröffentlichung ihrer Autobiografie Sonjas Rapport in der DDR gelangte sie zu großer Popularität. In dem Bestseller verschwieg sie jedoch ihre Kontakte zu Klaus Fuchs, der zu diesem Zeitpunkt noch lebte. Im gleichen Jahr wurde sie in der DDR mit dem Nationalpreis I. Klasse und mit dem Karl-Marx-Orden geehrt.

Zur friedlichen Revolution in der DDR betrat die nunmehr 82-Jährige im November 1989 noch einmal die politische Bühne und sprach im Berliner Lustgarten vor Zehntausenden nach dem Fall der Mauer von ihrem Vertrauen in einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Anfangs setzte sie noch großes Vertrauen in Egon Krenz. Danach zog sie sich wieder aus der Öffentlichkeit zurück.

Sie gehörte bis zu ihrem Tod dem „Ältestenrat“ beim Parteivorstand der PDS an.

Bei ihrer Beisetzung im Juli 2000 auf dem Friedhof Berlin Baumschulenweg sprach ein Gesandter der Russischen Föderation als Trauerredner. Ohne dass Werner jemals Uniform getragen hatte, war sie Oberst der Roten Armee. Postum erhielt sie den russischen Orden der Freundschaft.

  • Rotbannerorden 1937
  • Rotbannerorden 1969
  • Nationalpreis 1. Klasse 1977
  • Karl-Marx-Orden 1977
  • Orden der Freundschaft 2000 (postum)

als Ursula Beurton:

  • Immer unterwegs. Reportage aus Prag über die Tätigkeit unserer Ingenieure im Ausland. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1956

als Ruth Werner:

  • Ein ungewöhnliches Mädchen. Verlag Neues Leben, Berlin 1958
  • Olga Benario. Die Geschichte eines tapferen Lebens. Verlag Neues Leben, Berlin 1961
  • Über hundert Berge. Verlag Neues Leben, Berlin 1965
  • Ein Sommertag. Verlag Neues Leben, Berlin 1966
  • In der Klinik. Verlag Neues Leben, Berlin 1968
  • Muhme Mehle. Neuauflage: Spotless, Berlin 2000
  • Kleine Fische – Große Fische. Publizistik aus zwei Jahrzehnten. Verlag Neues Leben, Berlin 1972
  • Die gepanzerte Doris. Kinderbuchverlag, Berlin 1973
  • Ein sommerwarmer Februar. Kinderbuchverlag, Berlin 1973
  • Der Gong des Porzellanhändlers. Verlag Neues Leben, Berlin 1976
  • Vaters liebes gutes Bein. Kinderbuchverlag, Berlin 1977
  • Gedanken auf dem Fahrrad. Verlag Neues Leben, Berlin 1980
  • Kurgespräche. Verlag Neues Leben, Berlin 1988
  • Sonjas Rapport (autobiografisch). Erste vollständige Ausgabe, Verlag Neues Leben (Eulenspiegel Verlagsgruppe) 2006 (zuerst 1977), ISBN 3-355-01721-3
  • 1980: Muhme Mehle (Fernsehfilm)
  • Sonjas Rapport. DEFA-Spielfilm 1982; Regie: Bernhard Stephan
  • Sabine Mieder: Deckname Sonja – das geheime Leben der Agentin Ruth Werner. Erstsendung 7. Februar 2001
  • Top Secret: Helden und Verräter. Dreiteilige Dokumentation, Deutschland 2007, Erstsendung 1. Oktober 2009, letzte Ausstrahlung auf ARD am 5. April 2014[5]

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Joachim Sagasser (Hrsg.): Auskünfte über Ruth Werner. Zum 75. Geburtstag. Verlag Neues Leben, Berlin 1982.
  • Janina Blankenfeld: Die Tochter bin ich. Kindheitserinnerungen. Kinderbuchverlag, Berlin 1985.
  • Antje Dertinger: Heldentöchter. Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger, Bonn 1997, ISBN 3-8012-0253-4, Kap. „Mutter war Partisan der Roten Armee“ Janina Blankenfelds Kindheit in vier Ländern Europas, S. 182–199. 
  • Benjamin B. Fischer: Farewell to Sonia, the Spy Who Haunted Britain. In: International Journal of Intelligence and Counterintelligence. 15, Nr. 1, Frühjahr 2002, S. 61–76.
  • Waltraud Schade: Ruth Werner (1907–2000), Kundschafterin, Schriftstellerin. In: Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin (Hrsg.): Frauenmosaik. Frauenbiographien aus dem Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick. Trafo Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89626-343-9.
  • Eberhard Panitz: Treffpunkt Banbury – oder wie die Atombombe zu den Russen kam: Klaus Fuchs, Ruth Werner und der größte Spionagefall der Geschichte. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2003, ISBN 3-360-00990-8.
  • Rudolf Hempel (Hrsg.): Funksprüche an Sonja. Die Geschichte der Ruth Werner. Verlag Neues Leben, Berlin 2007, ISBN 978-3-355-01731-2 (mit einer ausführlichen Literaturliste zu Ruth Werner).
  • Thomas Karny: „Sonja“ – Stalins beste Spionin. In: Wiener Zeitung, 12. Mai 2007, abgerufen am 22. November 2013.
  • Karin Hartewig, Bernd-Rainer Barth: Werner, Ruth. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Ben Macintyre: Agent Sonya. The True Story of WW2’s Most Extraordinary Spy. Penguin Books, Dublin 2020, ISBN 9780241986950.
  1. ab StA Friedenau, Geburtsurkunde Nr. 206/1907
  2. Karin Hartewig, Bernd-Rainer Barth: Werner, Ruth. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  3. Thomas Karny: „Sonja“ – Stalins beste Spionin. In: Wiener Zeitung. 11. Mai 2007.
  4. Ungekürzte Fassung vom DDR-Bestseller „Sonjas Rapport“. Mitteldeutscher Rundfunk, 28. Februar 2006 (Memento vom 4. Mai 2007 im Internet Archive)
  5. Top Secret: Die Geschichte der Spionage (1/3) – Helden und Verräter. In: ARD.de, 5. April 2014.