Schullandheim Wegscheide – Wikipedia

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Wegscheide (Eingangsbereich)

Das Jaspertrondell dient auch als Klassenzimmer im Freien.

Das Schullandheim Wegscheide (auch Kinderdorf Wegscheide) der Stadt Frankfurt am Main gilt als das größte Schullandheim Deutschlands. Es liegt auf dem Wegscheideküppel im Spessart, 4,5 Kilometer südöstlich von Bad Orb im hessischen Main-Kinzig-Kreis. Das Schullandheim Wegscheide verfügt über 23 Wohneinheiten auf einer Fläche von 35 Hektar.

Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 wurde auf dem Wegscheideküppel ein Militärlager errichtet; das Gelände war Teil des vorgesehenen Truppenübungsplatzes Villbach-Lettgenbrunn, der aber an der Wegscheide kaum über die Vorbereitungshandlungen hinauskam. Es wurde ein Militärlager (eher einem Militär-Depot vergleichbar) errichtet, das aus einer Reihe von Holzbaracken und drei festen Häusern, die als Pferdeställe gedient hatten, bestand. Während des Krieges wurden hier zahlreiche junge Männer zu Soldaten ausgebildet. Dagegen wurde der Bombenabwurfplatz Villbach-Lettgenbrunn sowohl vor und während der beiden Weltkriege (Fliegerhorst Rothenbergen[1]) als solcher genutzt wurde.

Nach dem Ersten Weltkrieg suchte August Jaspert im Auftrag der „Frankfurter Kinderhilfe“ nach einer Erholungsstätte für Kinder, die unter den Folgen des Krieges litten. Dieser Ort erschien Jaspert geeignet, der Verwirklichung seiner Idee eines Kindererholungslagers zu dienen. Unterstützt wurde er von Wilhelm Polligkeit (1876–1960) und Spenden Frankfurter Bürger, unter anderem von Willemine von Weinberg, der Ehefrau Arthur von Weinbergs, nach der das von ihr gespendete Haus 1929 benannt wurde und eine Frankfurter Straße.

Ab dem 20. August 1920 besuchten zehntausende Frankfurter Kinder im Rahmen einer Klassenfahrt oder einer Ferienfreizeit das Kinderdorf Wegscheide. Allein bis zum Jahr 1952 waren es knapp 120.000.


Vom November 1939 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 war die Wegscheide ein so genanntes Stammlager für Kriegsgefangene (Stalag) der deutschen Wehrmacht. Die meisten Gefangenen waren als Zwangsarbeiter bei den Bauern der Region oder in Fabrikationsstätten bis nach Frankfurt eingesetzt. Während zunächst Franzosen, Briten und Polen im Lager waren, stammten ab Mitte 1941 die meisten Lagerinsassen aus der Sowjetunion. Ihre Versorgung und Unterbringung war menschenunwürdig. Noch heute zeugt davon etwa einen Kilometer südlich der Wegscheide der Waldfriedhof Wegscheide, auf dem 1430 sowjetische Kriegsgefangene in Massengräbern beigesetzt sind.

In den Jahren 1945 bis 1955 diente das Lager Wegscheide als Flüchtlingslager für Heimatvertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Zeitweise lebten bis zu 3000 Menschen in den Baracken und Steinhäusern. Westlich der Wegscheide befindet sich ein Heimatvertriebenenfriedhof.

Am 31. Dezember 1950 wurden auch die letzten Insassen des DP-Lagers Babenhausen in das Lager Wegscheide verlegt, da ihre Unterkunft in Babenhausen, eine ehemalige Kaserne, fortan von den Amerikanischen Streitkräften als Garnisonsstandort genutzt werden sollte. Bei den aus Babenhausen umgesiedelten Flüchtlingen handelte es sich um sogenannte National-Tschechen, „die im Frühjahr 1948 aufgrund der Staatskrise in der Tschechoslowakischen Republik in die amerikanische Zone Deutschlands gelangt waren“. Aufgrund einer amerikanischen Ausnahmegenehmigung war ihnen der DP-Status verliehen worden, „der ihnen eine bessere Versorgung unter der Obhut der IRO sowie eine Unterbringung in IRO-Lagern gewährleistete“.[2]

Bereits 1949 waren erstmals wieder Frankfurter Schüler mit ihren Lehrern auf der Wegscheide zu Besuch. Während dieser Zeit waren in den Häusern am Haupteingang noch Flüchtlinge untergebracht. Für die Wiederinbetriebnahme des Schullandheims setzte sich besonders der Frankfurter Schuldezernent Heinrich Seliger ein, um den Kindern und Jugendlichen in der stark zerstörten Stadt eine Erholungsstätte in freier Natur zu schaffen. Seit 1949 besuchen jährlich 6000 bis 7000 Schüler, vor allem aus Frankfurt am Main, das Kinderdorf Wegscheide.

Seit den 1980er-Jahren wurden auf der Wegscheide sowohl der Bestand der Gebäude als auch das Konzept modernisiert. Neben neuen Belegungshäusern sind hier der Bau einer Kläranlage und einer Holzhackschnitzel-Heizungsanlage sowie die Installation von Sonnenkollektoren zu nennen. Heute können Gruppen aus einem reichhaltigen Projektangebot der Umwelt- und der Erlebnispädagogik wählen. In dem abgegrenzten Gelände ohne Autoverkehr können sich die Kinder und Jugendlichen frei bewegen.

  • Elsbeth Schmidt-Glücklich: Wegscheidekinder. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1956.
  • Edmund Acker (Red.): Auf der Höhe da droben. Erinnerungen an die Wegscheide. Bad Orb 1983.
  • Hessisches Institut für Lehrerfortbildung (Hrsg.): Die Wegscheide bei Bad Orb. Ein Spiegel deutscher Geschichte seit 1900. Bruchköbel 1994.
  • Stiftung Frankfurter Schullandheim Wegscheide (Hrsg.): 75 Jahre Frankfurter Schullandheim Wegscheide. Frankfurt am Main 1995.
  • Jens Haag, Cornelia Heil, Detlef Lack, Monika Lack, Marc Peschke, Bernd J. Will: Informationen. Frankfurter Schullandheim Wegscheide. 7. Auflage, Frankfurt am Main 2006.
  1. Ursula Braasch-Schwersmann (Hrsg.): Hessischer Städteatlas, Lieferung III, 2, Bad Orb, Textheft, Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg 2013, S. 26
  2. Holger Köhn: Die Lage der Lager: Displaced Persons-Lager in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands, Klartext Verlag, 2012, ISBN 978-3-8375-0199-5, S. 163. Zur Vorgeschichte dieser Unterbringung in Babenhausen siehe: Vom Lager für tschechische DPs zur us-amerikanischen Garnison

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